utopia – 24: eine viereckige insel

[Dieser Beitrag gehört zum Roman „Utopia“. Der Roman erscheint im Blog in loser Reihenfolge. Der Beginn findet sich hier.]

Noë zweifelte nur kurz daran, ob sie das Bild wirklich gemalt hatte oder ob sie wieder nur geträumt hatte. Sie fand auf den ersten Griff den zusammengefalteten Stadtplan im Regal und auf der Rückseite ihre Insel mit Sandstrand, Wasserfall und Bäumen.

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utopia – 22: blaue beeren für die flüchtlinge

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Noë war zufrieden, dass die Flüchtlinge nun eine bessere Zukunft vor sich hatten. Sie hatten alle Möglichkeiten der Welt. Sie konnten sich eine eigene Welt, nach eigenen Vorlieben erschaffen. Das war noch besser, als wenn sie von ihrer Heimat in ein anderes Land hätten auswandern können. Jetzt konnten sie alles so gestalten, wie es für sie selber perfekt war.

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utopia – 20: ein tisch ist ein tisch

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Noë hatte schon seit mehreren Tagen keine Zeitung mehr gelesen. Stattdessen hatte sie sich mit Texten über Gefühle auseinandergesetzt. Sie hatte versucht, das alles zu verstehen, mit anderen darüber zu sprechen. Aber es war ihr nicht so recht gelungen.

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utopia – 19: luis spielt fussball

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Noë war am Abend ganz erschöpft eingeschlafen und dann hatte sie die ganze Nacht seltsame Dinge geträumt. Dass ihr Wasser aus den Augen gelaufen war, Wasser, das salzig schmeckte. Und dass seltsame Geräusche aus ihrem Mund kamen, wenn wenn sich der ganze Körper zusammengezogen hätte.

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utopia – 18: noë weint nicht, wenn der regen fällt

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Noë schlug die Augen auf. Sie lag in ihrem Bett, die Decke um sie herum zerwühlt. Sie schien hier wirklich die ganze Nacht geschlafen zu haben. Oder jedenfalls eine ganze Zeit. Sie erinnerte sich, dass sie immer wieder aufgewacht war, zumindest halbwegs. Und sie hatte das Gefühl gehabt, dass sie von einem Traum in den nächsten gesprungen war.

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utopia – 16: noë liest gedichte

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Noë lag wach in ihrem Bett. Sie wollte schon seit einer Weile aufstehen. Aber sie hatte sich bisher nicht dazu durchringen können. Wenn sie aufstand und ins Wohnzimmer gehen würde, dann läge da eine Zeitung auf dem Tisch.

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utopia – licht

Als das Feuer am Streichholz aufflammte, erschrak sie so, dass sie es fallen lies. Es erlosch sofort. Zörgerlich startete sie einen neuen Versuch. Aber erst beim fünften Anlauf gelang es ihr, das Feuer vom Holz zum Docht zu bringen. Es knisterte, Funken sprühten hoch. Die Flamme glomm erst bläulich auf, wurde grösser wie eine Blase und dann wieder kleiner. Die Farbe änderte sich fast ins Weiss. Dann wurde die Flamme wieder grösser und gelber, gegen ein leichtes Golden. Und schliesslich wurde sie gelb-orange und im Ansatz blau-weiss. Das weisse Wachs direkt unter der Flamme begann bereits durchsichtiger zu werden. Bereits nach kurzer Zeit hatte sich ein kleiner See gebildet. Und immer noch sprühten ab und zu Funken. Darum lag ein stetes, wenn auch nicht gleichmässiges Knistern in der Luft.

Die Kerze warf ihr Licht in den Raum, auf den Tisch und an die Wand. Dort begannen Schatten zu tanzen, denn die Flamme flackerte leicht. Der eine Schatten gehörte zur Kerze selber, er zeichnete ihr Rund nach. Sie war ja schon ziemlich abgebrannt, der Docht lag tief im Wachszylinder. Der Schatten an der Wand bildete eine Art abgerundetes V, das langsam hin und her schwebte. Die obere Kante der Kerze war nicht gerade, sondern verlief wellenförmig in zwei relativ regelmässigen Auf und Ab. Dort, wo die vordere Kante tiefer heruntergebrannt war als die hintere leuchtete der Rand hell auf. Ab und zu sah man die Flamme über diesen Rand hinaus aufflackern. Normalerweise aber leuchtet der mittlere Teil der Kerze einfach goldgelb.

Die Kerze brannte nun schon einige Minuten und ihr war es, als ob sie bereits das warme Wachs riechen konnte. Leicht süsslich. Und irgendwie roch es wie das Gegenteil von frischer Nachtluft: Es roch leicht plastifiziert, wie wenn man durch eine Plastiktüte atmete. Der Geruch war aber nicht unangenehm. Im Gegenteil, er erweckte in ihr ein Gefühl von Geborgenheit.

Dann riss plötzlich der Rand ein, da wo er schon weit herunter gebrannt war. Das Wachs floss mit einem Schwung heraus, rann aussen an der Kerze entlang hinunter und begann sich alsbald rückzustauen. Es bildete sich ein dünner Stängel entlang der Kerze mit knubbeligen Verdickungen. Sie tauchte ihren Finger in das warme Wachs in der Kerze. Das fühlte sich erst ganz heiss an, kühlte aber rasch ab und war dann nur noch warm. Sie spürte, wie das Wachs die Poren ihrer Haut abschloss. Sie rieb die Finger aneinander. Das fühlte sich glatt an, aber seltsam. Leblos, aber irgendwie doch organisch, weil weich und verformbar. Sie wartete ein bisschen, das Wachs härtete schnell ganz aus. Es wurde spröde und als sie den Finger jetzt bewegte, platzte die neue Haut auf, bekam Risse und fiel ab. Am Finger blieb eine fettige Schicht zurück, die nicht sichtbar war, wohl aber spürbar. Es war ihr, als spüre sie das Wachs noch an der Hand, obwohl es lange wieder abgefallen war.

utopia – winterfrüchte

Seit Tagen hatte die Tüte dagelegen. Fast könnte man meinen, achtlos. Aber eigentlich war in dieser neuen Welt der Anblick einer Tüte schon ein Ereignis. Sie war aus durchsichtigem Plastik, sah irgendwie altmodisch aus. Kam aus Südamerika. Sie lag da, knisterte wundervoll, wenn man sie berührte. Leicht klang das Knistern. Geheimnisvoll. Die Oberfläche war ganz glatt. Und obwohl sie durch den Plastik hindurch sehen konnte, schien zwischen dieser glatten Plastikoberfläche und dem Inhalt kein Zusammenhang zu bestehen.

Sie wusste ganz genau, was sich in der Tüte befand. Sie hatte eine vage Erinnerung aus der Kindheit, wie es duften würde, sobald sie den Plastik öffnete. Sie wusste, wie die gerösteten Erdnüsse sich in den Fingern anfühlen würden und wonach sie schmecken würden, sobald sie die geschälte Nuss in den Mund nam. Sie wusste es und sie verzehrte sich danach, diese Eindrücke endlich wirklich zu erleben, sich nicht mehr bloss daran zu erinnern. Aber sie freute sich auch unendlich auf diesen Moment und sie wollte diese Freude noch ein Weilchen länger hinhalten.

Aber dann überkam sie einfach eine unendliche Neugierde, ein Verlangen danach, zu fühlen, zu riechen, zu schmecken, ob ihre Erinnerungen wirklich noch stimmten. Sie riss die Packung auf und sofort schlug ihr der Geruch entgegen. Ihre Erinnerung hatte sie nicht getäuscht. Es roch herb, leicht staubig. Aber irgendwie auch süsslich. Sie atmete tief ein. Es roch nach geröstet. Sie beugte sich über die Tüte und atmete noch einmal tief ein. Jetzt schien ihr der Geruch fast etwas metallen.

Und während sie sich noch den Gerüchen hingab, überkam sie eine ungeheure Lust, einfach in eine solche Nuss hinein zu beissen, ihre Zähne in die weiche Schale zu bohren. Es knackte leicht, gleichzeitig gab es einen pfeifenden, schleifenden Ton, als ihre Zähne sich zur Luft in der Nuss durchsäbelte. Die Schale splitterte ganz leicht ab und sie fühlte die kleinen Stücke im Mund. Faserig fühlte sich das an. Und es schmeckte irgendwie nach nichts. Sie nahm die Nuss aus dem Mund.

Jetzt hielt sie sie in der Hand. Sie erspürte die poröse Oberfläche. Irgendwie fühlte sich das warm an. Nicht unbedingt lebendig, aber auch nicht tot. Irgendwie organisch. Sie fixierte die Spitze am einen Ende der Erdnuss mit dem Zeigefinger und drückte auf die gebogene Rundung darüber mit dem Daumen. Es knackte, als die Schale zerbarst und die Luft aus dem Innern der Nuss entwich. Sie musste die zweite Hand zur Hilfe nehmen, um die Nuss nun ganz aufzubrechen. Es knacke noch einmal, dann knirschte es, als sie die beiden Hälften mit einem Ruck voneinander trennte. Die Kerne fielen zitternd auf den Tisch. Es war ein Geräusch, dass von den Ausdehnungen einem Poltern nahe kam, aber natürlich viel, viel leiser. Die zwei Nüsse zerfielen sofort in ihre Hälften und die rote Schale löste sich mit einem papiernen Geräusch von ihnen. Sie nahm die knirschenden Blättchen in ihre Finger. Fast klang es, als wenn jemand durch Schnee geht.

Dann nahm sie die Nuss in den Mund und kaute sie. Es knirschte weiter, aber irgend wie weich. Und so fühlte es sich auch an. Die Nuss schien sich mehr zwischen ihren Zähnen zu verformen als auseinander zu splittern. Sie war nur im ersten Moment knusprig, dann sofort eher weich und bald sogar irgendwie fasrig. Und gleichzeitig mit der äusserlichen Verformung gab sie auch ihren Geschmack preis. Dieser veränderte sich eben so schnell: Erst war die Nuss süsslich, dann kam der typische Nussgeschmack, ganz genau so, wie sie sich erinnert hatte. Er war warm, erdig irgendwie. Aber auch frisch und würzig. Und dann wurde er wieder süsslicher. Bis da nichts mehr war, nur noch das fasrige etwas, zwischen ihren Zähnen, an ihrer Zunge.

utopia – holz

Der Tisch war aus mehreren Holzbrettern zusammengesetzt. Jedes hatte seine eigene Maserung. Beim ersten Brett verlief sie wellenförmig um ein Astloch, das selber aber nicht mehr zum Abschnitt gehörte. Die Ringe verliefen parallel, jedoch nicht gleichförmig. Sie bildeten eher eine Ellipse. Eine Ellipse um einen Punkt, der nicht zu diesem Tisch-Universum gehören zu schien und es dennoch massgeblich bestimmte. Die Linien im zweiten Brett waren gleichförmig, aber sie waren mal näher zusammen, mal weiter auseinander. Sie bildeten Bahnen, suggerierten Geschwindigkeit und Dynamik. Das dritte Brett schien kaum eine Maserung aufzuweisen. Wie eine Wüste bildete es eine Leere, bevor auf dem vierten Brett einige Spuren folgten, die wie tiefe Furchen wirkten. Das Holz strahlte eine Lebendigkeit aus, die Zusammensetzung der Tischoberfläche wirkte geschaffen. Nicht natürlich, aber auch nicht unnatürlich.

Sie wollte den Tisch berühren. Sie wollte das Holz anfassen. Sie stellte sich vor, wie es sich anfühlen würde. Etwas rau. Deutlich würde sie die Rillen wahrnehmen. Warm stellte sie sich das Material vor. Sie streckte den Finger aus. Langsam näherte sie sich der Platte. Als sie sie berührte, schreckte sie zurück. Ganz glatt hatte sich das angefühlt. Sie war irritiert über diese Empfindung. Sie entsprach so gar nicht dem, was sie erwartet hatte. Glatt, fast wie aus Plastik. Kalt. Unsicher fuhr sie mit dem Finger längs und quer über die Bretter. Über die Maserung, die sie vorher so genau studiert hatte. Nichts war zu spüren, keine Unebenheiten, kein Leben. Erst als sie mit dem ganzen Arm ausholte und quer über die Bretter hinweg mit der ganzen Hand den Tisch zu erfühlen versuchte, spürte sie wenigstens die Abschnitte, in die die Bretter den Tisch gliederten. Ganz feine, gerade Linien. Künstlich. Künstlich wirkte es auf sie.

Sie zog die Hand zurück und betrachtete den Tisch aufs Neue. Aber sobald sie die Hand vom kühlen, glatten Material genommen hatte, konzentrierte sich ihre Wahrnehmung wieder auf die verschiedenen Maserungen. Mit ihren Augen spürte sie ihre Lebendigkeit.

utopia – steine

Sie liebte diese Steine. Die Farbe. Fast bernsteinfarben waren sie in diesem spätsommerlichen Morgenlicht. Bei schlechtem Wetter etwas blasser. Im Hochsommer zu Mittagszeiten fast weisslich kühl oder vielleicht auch gleissend. Und sonst beige, leicht gelblich warm. Die poröse Oberfläche, das weite, natürliche, statistisch normalverteilte Muster. Sie liebte es, mit der Hand dem Relief zu folgen, dass tausende von Jahre zuvor das Wasser eingefressen hatte.

Barfuss lief sie über die Steine, die nicht nur die Wände, sondern auch den Boden bedeckten. Auch mit den Fussspitzen ertastete sie das Poröse. Sie blickte in das Dunkeltürkis des Pools. Das Glitzern. Die verschwimmenden Formen der Mosaiksteine unter Wasser. Die Steine wirkten natürlich, statistisch völlig normal verteilt.