utopia – 6: ende gut, alles gut?

[Dieser Beitrag gehört zum Roman „Utopia“. Der Roman erscheint im Blog in loser Reihenfolge. Der Beginn findet sich hier.]

Noë staunte über die vielen Bücher. Sie zog da und dort eines hervor und bewunderte das Cover. Es waren Geschichten von Menschen und Tieren. Die grossen Bücher enthielten meist viele Bilder. Die kleineren Bücher waren nur voll von Buchstaben. Von Wörtern. Von Sätzen.

Erst fand sie es etwas anstrengend, diese Bücher zu lesen. Man musste sich sehr konzentrieren. Aber das gelang ihr immer besser. Und hier waren die Friends auch etwas stiller. Nur vereinzelt kamen Meldungen, beispielsweise, wenn jemand ein Buch fertig gelesen hatte. Oder wenn jemand ein besonders gutes Buch weiterempfahl.

Noë hatte kein System: Sie wandte sich einfach einem Regal zu und zog ein beliebiges Buch heraus. Sie schlug es auf und begann zu lesen. Und hörte meist erst auf, wenn das Buch zu Ende war. Sie begann, die Bücher regelrecht zu verschlingen. All die Geschichten, die da drin vorkamen. Von Prinzen und Prinzessinnen, von Seefahrern, von Bergsteigerinnen. Sie las und las und versank bei jedem Buch von neuem in einer anderen Phantasiewelt. Sie konnte gar nicht genug kriegen. Kein einziges Mal vermisste sie die grüne Landschaft mit den bunten Blumen und den Schmetterlingen und dem Kaninchen. Und bald hatte sie das alles soweit hinter sich gelassen, dass sie es einfach vergass. Nur den Maulwurf, den vergass sie nicht. Und auch nicht Luis und Alice.

Sie hatte es sich nahe eines Fensters auf einem gemütlichen Sessel bequem gemacht. Dort hatte sie auch immer genügend Licht, so dass sie ganz ruhig mit den Augen den Zeilen entlang fahren konnte. Das Buch, das sie gerade in den Händen hielt, erzählte von einem Abendteuer mitten im Meer. Ein Unterwasserboot war viele Meilen hinunter getaucht und die Menschen an Bord erlebten verschiedene Abenteuer. Als sie zum Schlusskapitel kam, bemerkte Noë, dass die letzten Seiten des Buches fehlten. Sie guckte auf den Boden, ging zum Regal, von wo sie das Buch genommen hatte, aber sie fand die Seiten nicht. Enttäuscht blickte sie vor sich hin. Sie wollte so gerne wissen, ob die Geschichte gut ausging. Vielleicht, dachte sie, kann mir ja jemand erzählen, wie es ausgegangen ist. Sicher hat jemand anderer das Buch schon vor mir gelesen.

Sie erinnerte sich an Luis’ Taktik und sagte zu ihren Friends: „Hallo, ich heisse Noë. Ich habe gerade eine Geschichte von einem Abenteuer auf dem Grund des Meeres gelesen. Kennt ihr das Buch?“ Aber keiner der Friends reagierte. Noë versuchte es noch einmal: „Die letzten Seiten fehlen. Kann mir jemand sagen, wie es ausgeht?“ Zunächst kam wieder keine Reaktion, aber schliesslich meldete sich eine Stimme: Sie hätte das Buch erst kürzlich gelesen und könnte ihr das Ende erzählen. Und so lernte Noë Birgit kennen. Und Birgit erzählte ihr, dass alles ein gutes Ende nahm mit dem Boot. Aber danach wollte Birgit nicht mehr weiter plaudern, sondern lieber ihr eigenes Buch fertig lesen. Und Noë war wieder alleine.

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