utopia – 9: in der weissen dunkelheit

[Dieser Beitrag gehört zum Roman „Utopia“. Der Roman erscheint im Blog in loser Reihenfolge. Der Beginn findet sich hier.]

Als Noë die Augen aufschlug, wurde sie von grellem weissem Licht geblendet. Schnell machte Sie die Augen wieder zu. Ein Blitz durchfuhr sie. Hatte sie das nicht schon einmal erlebt?

Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern. Vorsichtig schlug sie die Augen auf und blickte umher. Ein weisser Raum, eine Glasscheibe. In ihrer Erinnerung tauchte das Gesicht einer Frau auf. Sie versuchte sich ganz darauf zu konzentrieren. Und sie spürte, dass dieser Raum etwas damit zu tun hatte, dass sie in die Bibliothek gekommen war. Lesen, das sei schon eine Seltenheit. Das hatte die Frau gesagt. Und jetzt hatte sie so viel gelesen. Hatte sie zu viel gelesen? Oder zuwenig? Noës Herz klopfte. Sie hatte das Gefühl, das Herz zerspringe in ihr. Und aus den Büchern wusste sie, dass dies mit Aufregung zu tun hatte. Und das Herz klopfte noch stärker. Und plötzlich erlosch das Licht.

Als sie wieder zu sich kam, sass sie immer noch am weissen Tisch. Der Raum war wieder gleissend hell. Und vor ihr, hinter der Scheibe, stand wieder die Frau mit dem weissen Gerät. Noë dachte automatisch, dass das wohl ein Computer war. Auch darüber hatte sie in den goldenen Büchern gelesen. Die Frau runzelte wieder ihre Stirn und nickte und tippte. In Richtung von Noë sagte sie dann, dass das ja schon sehr aussergewöhnlich sei. Bisher sei das bei ihr ja noch gar nie vorgekommen. Sich über Bücher austauschen. Diskutieren. Sehr aussergewöhnlich. Aber dann sei es so. Das System sei, wie es sei. Sie werde versetzt. Und zum Glück seien nicht alle so wie sie. Das würde ein schönes Chaos geben. Die Programmierer seien jetzt schon am Anschlag.

Die Frau verschwand und Noë blieb alleine im hell erleuchteten Raum. Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder. Ein bisschen mit der Hoffnung, dass sie sich beim nächsten Augenaufschlag in einer anderen Welt befinden würde. Aber sie sass immer noch im weissen Raum. Und langsam übten die Worte der Frau ihre Wirkung auf Noë aus. Sie hatte etwas falsch gemacht, sie war nicht so wie alle anderen. Sie wollte Dinge, die nicht normal waren. Warum hatte sie nur die goldenen Bücher gelesen. Warum wusste sie jetzt so viel über die Welt. Jetzt wollte sie dieses Wissen irgendwie verarbeiten. Und das konnte sie nicht. Sie versuchte, all die Dinge wieder zu vergessen. Aber es gelang ihr natürlich nicht. Sie wollte nie mehr etwas falsch machen. Obwohl sie gar nicht genau wusste, was sie falsch gemacht hatte.

Ihr Herz klopfte, immer mehr klopfte es, immer schneller und Noë wurde es schwarz vor den Augen und sie hörte ein Pfeifen in den Ohren und sie sah gar nichts mehr und sie konnte auch nichts mehr denken, sich nicht mehr bewegen, sie wahr wie gelähmt, während ihr Herz weiterhin raste und es in ihren Ohren brauste. Es wurde dunkel.

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