Als das Feuer am Streichholz aufflammte, erschrak sie so, dass sie es fallen lies. Es erlosch sofort. Zörgerlich startete sie einen neuen Versuch. Aber erst beim fünften Anlauf gelang es ihr, das Feuer vom Holz zum Docht zu bringen. Es knisterte, Funken sprühten hoch. Die Flamme glomm erst bläulich auf, wurde grösser wie eine Blase und dann wieder kleiner. Die Farbe änderte sich fast ins Weiss. Dann wurde die Flamme wieder grösser und gelber, gegen ein leichtes Golden. Und schliesslich wurde sie gelb-orange und im Ansatz blau-weiss. Das weisse Wachs direkt unter der Flamme begann bereits durchsichtiger zu werden. Bereits nach kurzer Zeit hatte sich ein kleiner See gebildet. Und immer noch sprühten ab und zu Funken. Darum lag ein stetes, wenn auch nicht gleichmässiges Knistern in der Luft.
Die Kerze warf ihr Licht in den Raum, auf den Tisch und an die Wand. Dort begannen Schatten zu tanzen, denn die Flamme flackerte leicht. Der eine Schatten gehörte zur Kerze selber, er zeichnete ihr Rund nach. Sie war ja schon ziemlich abgebrannt, der Docht lag tief im Wachszylinder. Der Schatten an der Wand bildete eine Art abgerundetes V, das langsam hin und her schwebte. Die obere Kante der Kerze war nicht gerade, sondern verlief wellenförmig in zwei relativ regelmässigen Auf und Ab. Dort, wo die vordere Kante tiefer heruntergebrannt war als die hintere leuchtete der Rand hell auf. Ab und zu sah man die Flamme über diesen Rand hinaus aufflackern. Normalerweise aber leuchtet der mittlere Teil der Kerze einfach goldgelb.
Die Kerze brannte nun schon einige Minuten und ihr war es, als ob sie bereits das warme Wachs riechen konnte. Leicht süsslich. Und irgendwie roch es wie das Gegenteil von frischer Nachtluft: Es roch leicht plastifiziert, wie wenn man durch eine Plastiktüte atmete. Der Geruch war aber nicht unangenehm. Im Gegenteil, er erweckte in ihr ein Gefühl von Geborgenheit.
Dann riss plötzlich der Rand ein, da wo er schon weit herunter gebrannt war. Das Wachs floss mit einem Schwung heraus, rann aussen an der Kerze entlang hinunter und begann sich alsbald rückzustauen. Es bildete sich ein dünner Stängel entlang der Kerze mit knubbeligen Verdickungen. Sie tauchte ihren Finger in das warme Wachs in der Kerze. Das fühlte sich erst ganz heiss an, kühlte aber rasch ab und war dann nur noch warm. Sie spürte, wie das Wachs die Poren ihrer Haut abschloss. Sie rieb die Finger aneinander. Das fühlte sich glatt an, aber seltsam. Leblos, aber irgendwie doch organisch, weil weich und verformbar. Sie wartete ein bisschen, das Wachs härtete schnell ganz aus. Es wurde spröde und als sie den Finger jetzt bewegte, platzte die neue Haut auf, bekam Risse und fiel ab. Am Finger blieb eine fettige Schicht zurück, die nicht sichtbar war, wohl aber spürbar. Es war ihr, als spüre sie das Wachs noch an der Hand, obwohl es lange wieder abgefallen war.